Attributable Web — A new web paradigm for democratic societies
Kannst du dich noch erinnern?
Das World Wide Web eröffnete einen radikal neuen Raum – von jedem für jeden. Seine Offenheit entfachte die Vorstellungskraft einer ganzen Generation: ein globaler Informationsindex, Universalbibliotheken, neue Formen des Lesens, Schreibens und Denkens, ja gänzlich neue Formen menschlichen Zusammenlebens waren auf Basis des Web vorstellbar.
And it all pretty much worked. At least until the Web happened and ate the lunches of closed, non-interoperable hypertext systems. All those beautiful hypertext systems were stranded as jellyfish ashore on the desiccated sands of history.
Noch in der Schwebe der Möglichkeiten inmitten der Adoleszenz erlag das Web den Wachstumszwängen der Kommerzialisierung. Das Web wuchs heran, aber es wuchs zum seichten Hypertext-Tümpel ohne Versions- und Rechtemanagement statt zur inhalts- und kontextreichen Tiefsee. Einige Wenige vereinigten beinahe alle Graphen im Netzwerk auf wenige Knoten (AWS hält 34 % der top 100.000 Websites). Das Web wurde zentralisiert und geschlossen. Private Plattformen ersetzten, was einst offene Marktplätze waren. Einige Wenige wurden auf dem frühen öffentlichen Web zum Infrastrukturhegemon und bauen nun ihr eigenes privates Web durch unsere Alltagsgeräte (Amazon Sidewalk) und unsere Erdumlaufbahn (Starlink). Wie wir an anderen Infrastrukturen (Nordstream) sehen können, sind die wenigen Server und Tiefseekabel die wenigen physischen und virtuellen Verbindungen, auf die wir unsere kritische Infrastruktur bündeln die neuralgischen Punkte einer digitalnaiven Gesellschaft.
The web has evolved into an engine of inequity and division; swayed by powerful forces who use it for their own agendas.
Zur gleichen Zeit, in denen das Web Teil unseres Alltags wurde, vollzog sich eine weitere Entwicklung: demokratische Gesellschaftsformen nahmen ab, autoritäre Regierungsformen nahmen zu (Trump, Le Pen, Meloni). Wie die US-amerikanische NGO “Freedom House” in ihrem letzten Bericht “Freedom in the World 2022” feststellte, wurden in den vergangenen 16 Jahren jedes Jahr mehr Länder autoritärer als Länder demokratischer wurden. Der aufziehende Autoritarismus findet sein bestes Herrschaftsinstrument: ein zentralisiertes Web.
Ein Wandel ist möglich und wichtiger denn je. Wie können wir die Handlungsfähigkeit des Individuums und die langfristige Perspektive für demokratische Gesellschaften stärken? Wie sieht ein wünschenswerter digitaler Raum für demokratische Gesellschaften aus?
Wir laden dich auf einen Vorschlag ein.
Das Web als tragende Infrastruktur demokratischer Gesellschaften
souverän
Ein Gigabyte Daten erzeugt ein Mensch täglich. Du weißt jederzeit, wo diese Daten sind und entscheidest, wie und von wem diese Daten verwendet werden. Das ist möglich, da deine persönlichen Daten an deinen Account und nicht an einen Server gebunden sind. Durch graduelles Rechtemanagement (Visibility, Join Rules, Power Levels) und graduelles Self-Hosting kannst du individuell entscheiden, wie du mit deinen persönlichen Daten umgehst.
offen
Jede*r kann teilnehmen. Es ist für dich kostenlos und aller Code ist quelloffen (FLOSS).
grenzenlos
Freundeskreis, Amt, Verein, Familie, WG, Unternehmen – ein Mensch findet sich täglich in zahllosen Formen gesellschaftlicher Vereinigungen wieder. Du kannst diese frei wählen. Durch interoperable und föderierte Systemen ist eine grenzenlose Vernetzung möglich; nicht nur zwischen Messenger, sondern zwischen jedem Server, jedem Datensatz und jeder Applikation. Dies stellt Kooperation auf eine freie Grundlage.
sicher
Alles ist Ende-zu-Ende verschlüsselt. Dem Server muss nicht mehr blind vertraut werden.
Ein Web das sich anfühlt wie die echte Welt, ganz ohne Metaverseblabla
modular
Unendliche Kombinationsmöglichkeiten für unendliche Anwendungsfälle. Du kannst auf jeden noch so kleinen Inhaltsblock (Simple) des Webs zugreifen und ihn mit jedem anderen Baustein kombinieren. Dabei verweist du einfach auf das Original, anstatt es zu duplizieren und aus dem Kontext zu nehmen. Ein flexibler Baukasten statt starre iFrames.
situativ
Das kommt drauf an. Je nach Kontext können Inhalte entsprechend interpretiert und dargestellt werden. Für dich erleichtert das Benutzung und Verständnis.
verständlich
Deine persönlichen Daten werden in menschenlesbarer Form gespeichert. Mit einem General-Purpose-Interface kannst du jedes Bit zu jeder Zeit einsehen. Selbst wenn es nicht du, sondern eine Applikation in deinem Namen angelegt hat.
nachvollziehbar
Buch von Tolkien, Single von Kanye, Käse aus Italien, Marmelade von Opa – von den meisten Gegenständen wissen wir, woher sie kommen, durch wen und in welchem Kontext sie entstanden sind. Du kannst dies auch bei Daten nachvollziehen. Ein digitales Etikett (State-Events) zeigt Kontextinformationen an. Echtheit ist gewährleistet, Vertrauen möglich.
Aufbau
Attributable ist ein gemeinsamer Standard der Datenstrukturierung, der an OSI-Schicht 7 ansetzt. Attributable baut technisch auf [Matrix], dem 2014 veröffentlichten Application-Layer-Kommunikationsprotokoll für föderierte Echtzeitkommunikation und dessen Referenzimplementierung, dem Server Synapse auf. [Matrix] erbringt einige unserer Grundfunktionen wie Rechtemanagement, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, eindeutige Identifikatoren und die Föderation zwischen Servern. Außerdem bietet sich [Matrix] durch seine stetige Verbreitung an, unter anderem die französische Verwaltung ist auf [Matrix] umgestiegen. Attributable definiert, wie Daten strukturiert in [Matrix] angelegt werden und macht es zugänglich für andere APIs, die nicht [Matrix], sondern HTTP sprechen. Es bietet generalisierbare und ableitbare Datenvorlagen sowie Werkzeuge zur Interaktion mit strukturierten Daten. Als Gegenentwurf zur Hegemonie des Interfaces trennt Attributable Inhalt und Applikation.
Dadurch, dass Attributable auf dem bestehenden Web aufsetzt, ist ein nahtloser Übergang vom aktuellen Web zum Attributable Web möglich. Daten müssen nicht alle in [Matrix] gehalten werden, sondern können noch auf dem Server einer Plattform liegen und durch einen Link in [Matrix] referenziert werden. Am Ende wird es einfacher sein, eine Matrix-ID einzubinden, als eine Datei herunter- und hochzuladen.
Der Umstieg von Plattformen zur vollständig unabhängigen Nutzung des Webs ist graduell möglich. Eine Plattform gewährt meist nur eingeschränkten Zugriff auf den eigenen User Account und keine Kontrolle über Datenbank, Server, API, Interface und Frontend. Attributable erlaubt die schrittweise Emanzipation.
Funktionsweise
Attributable trennt Inhalt und Applikation. Um zu verstehen, wie Inhalte im Attributable Web referenzierbar und attribuierbar werden sind drei Begriffe zentral: »Simple«, »Collection« und »Template«.
Den kleinsten Inhaltsblock bezeichnen wir als Simple (Matrix: Room "type": "m.space"). Dieser Inhaltsblock kann ein Foto, ein String, ein Video, ein Character, eine Audiodatei und vieles mehr enthalten. Jedes Simple trägt einen universell einzigartigen Identifikator (Matrix: Room-ID !1234556789:your-domain.tld). Dadurch kann auf jedes Simple direkt und eindeutig verwiesen werden. Jedes Simple trägt Metainformationen (Matrix: state_events). Anders als im jetzigen Web bleiben damit bei Verweis auf einen Inhaltsblock die zugehörigen Metainformationen erhalten.
Simples können zu einer Collection strukturiert gruppiert werden. Jede Collection trägt wiederum einen universell einzigartigen Identifikator. Dadurch kann auch auf jede Collection direkt und eindeutig verwiesen werden. Auch jede Collection trägt Metainformationen. Ebenso bleiben bei Verweis auf eine Collection Metainformationen erhalten. Collections können zu weiteren Collections strukturiert gruppiert werden und so ergibt sich die Möglichkeit einer unendlichen Baumstruktur.
Ein Template kann einem Simple oder einer Collection zugewiesen werden um seine Rezeption zu steuern. Es gibt einen Hinweis darauf, wie Inhalte von Applikationen interpretiert werden können. Gleichzeitig ist jedes Template auch ein Simple. So gelten die gleichen Möglichkeiten des Verweisens und der Attribution. Templates können iterativ erweitert werden und erben dabei die Eigenschaften des direkt und eindeutig referenzierten zu erweiternden Templates.
Wieso auf diesem Weg?
Unsere Strategie ist eine interstitielle. Wir glauben, ein Paradigmenwechsel des Webs entsteht nach der Sozialtheorie sozialen Wandels weder lediglich von innen noch von außen, sondern aus den Zwischenräumen heraus. Enklaven des Zukünftigen in der Gegenwart ermöglichen das Erproben, Anwenden, Wiederholen und Verstetigen alternativer Handlungen. Sie sind Anknüpfungspunkte für eine andere Praxisfortsetzung.
Das gab es doch schon!
Ähnliche Ideen gab es schon früher als das Web selbst. Xanadu ist als 30-jährige Vaporware in die Geschichte eingegangen. Zwar prägte sein Autor Ted Nelson die Gedankenfigur und den Begriff des Hyperlinks, doch Xanadu selbst wurde nie realisiert. Seine Idee brach mit der Art und Weise, wie das Web umgesetzt wurde, anstatt darauf aufzubauen.
Und Web3?
Die »Blockchain« ist eine lineare, irreversible Aneinanderreihung von Transaktionen, geschrieben und verifiziert durch gemeinsame distribuierte Konsensfindung zwischen allen an diesem System partizipierenden Entitäten, die sich nicht vertrauen müssen. Die »Blockchain« als Konzept und Technologie löst genau ein Problem. Attributable Web ist ein Vorschlag zur Lösung eines gänzlich anderen Problems, demnach kann und wird Blockchain-Technologie niemals die Lösung für dieses Problem sein.
Mögliche Anwendungen
Medienprovenienz
Mit einer automatisierten Abfrage von Webinhalten könnte Attributable den Lesenden bei der Unterscheidung zwischen glaubwürdigen Nachrichten und Fehlinformationen unterstützen. Solange Browser nicht selbst [Matrix] sprechen, wäre diese Funktion als Plug-in denkbar.
Internet of Things
Mit einer Kopplung von IoT-Geräten an einen [Matrix]-Server wird jegliche Kommunikation zwischen den Geräten menschenlesbar und Attributable könnte der Besitzerin helfen, einen Überblick und Kontrolle über die genauen Aktivitäten der Geräte zu behalten.
Open-Access
Mit einem neuen Standard wissenschaftlicher Veröffentlichungen als attribuierbare Inhalte könnte Attributable den Publizierenden dabei helfen, Vergütung eigener Publikationen sowie Zugriff auf Publikationen Dritter genau an den eigenen Bedarf zuzuschneiden. Verlagsmonopole mit unverhältnismäßigen Margen durch u. a. Bundle-Verkäufe hätten damit ein Ende.
Daten-Portemonnaie
In mittlerer Zukunft wäre es denkbar, dass alle ihre persönlichen Daten auf dem eigenen Smartphone hosten und gezielt an spezifische Applikationen freigeben.
So stellen wir uns einen digitalen Raum für demokratische Gesellschaften vor. So stellen wir uns Attributable Web vor.
Wie stellst du es dir vor? Wir sind neugierig.